Der ecuadorianische Ökonom und Ex-Politiker Alberto Acosta beschäftigt sich seit langem mit der Frage nach Alternativen zum herkömmlichen Modell von Entwicklung und Fortschritt. Das indigene Konzept des „Guten Lebens“ aus dem Andenraum ist für ihn der passende Gegenentwurf zu unserer Wachstumsideologie. Mit ihm sprach Südwind-Redakteur Werner Hörtner.
Wenn man den ehemaligen Energieminister und Präsidenten der Verfassunggebenden Versammlung Ecuadors fragt, wie er den EuropäerInnen das Konzept des Buen Vivir, des so genannten Guten Lebens, erklären will, ohne dass das gleich als indigene Esoterik, als Mystizismus aufgefasst wird, greift er auf einen kurzen Rekurs in die Geschichte der Andenvölker zurück. „Diese Weltsicht ist kein theoretisches Konstrukt und auch keines für die Zukunft, sondern eines, das in der Gegenwart und in der Praxis lebt. Viele Gemeinschaften haben mit ihren Werten und ihren Grundsätzen, mit ihrer Logik des Guten Lebens nicht nur das Überleben geschafft, sondern sie haben sich bewusst an den Rand der so genannten westlichen Zivilisation gestellt, um sich eine Lebensoption zu schaffen.“
Der ecuadorianische Ökonom beschäftigt sich seit langem mit der indigenen Kosmovision der südamerikanischen Andenregion. Für ihn stellt diese die passende Antwort auf die Katastrophen und Krisen rund um unseren Entwicklungs- und Fortschrittsbegriff dar. Ein großes Hindernis für die Verbreitung dieses Konzepts ist jedoch die Tatsache, dass der Begriff Entwicklung immer noch zu positiv besetzt ist: „Die Idee der Entwicklung hat die Menschen wie ein Traum gefangen genommen, der aber für viele zu einem Albtraum geworden ist, denn auf der Suche nach der Entwicklung haben wir alle möglichen Übergriffe begangen. Ganze Kulturen, ganze Völker sind ausgerottet worden, die materielle Lebensgrundlage vieler Gemeinschaften wurde zerstört. Und trotz all dieser Erfahrungen hat das Schlagwort Entwicklung immer noch einen ungeheuer starken Symbolgehalt.“
Die Teilung der Welt: Als US-Präsident Truman 1949 den Entwicklungsbegriff offiziell in die Geschichte einführte, wurde damit eine verhängnisvolle Dichotomie etabliert, eine Spaltung in entwickelte und unterentwickelte, arme und reiche, erfolgreiche und gescheiterte Länder. Und es wurde dadurch auch die Tür verschlossen, dass diese Länder andere Wege finden, die sie zu anderen, würdigeren Lebensformen führen. Stattdessen haben diese armen Länder versucht, das Niveau der reichen Länder zu erlangen, was natürlich unmöglich ist. Doch obwohl es unmöglich ist, träumen die Menschen weiterhin davon, dass sie in den Genuss dieser Art von Entwicklung kommen.
Glaubt Acosta, dass das Konzept des Buen Vivir zu einem globalen Kampf gegen den wild gewordenen Kapitalismus führt, eine Alternative für eine menschenwürdige Zukunft in solidarischer Gemeinschaft und harmonischer Koexistenz mit der Natur darstellt? „Ich glaube schon. Nein, sicherlich sogar. Das Konzept des Guten Lebens kann viele Menschen in Einklang bringen. Es gibt viele Menschen auf der Welt, und vor allem in Europa, wo die Krisen ständig an die Tür klopfen, die ihren Wohlstand bedroht fühlen. Und die Leute sagen sich, wir müssen etwas unternehmen. Genau in diesem Moment taucht ein alternativer Vorschlag vom Rand der Peripherie, von den marginalisierten Völkern auf.“
Umwelt und Entwicklung: Ganz wichtig ist für den ecuadorianischen Denker eine radikale Umkehr unseres Verhältnisses zur Natur. Wir müssen einsehen, dass die Menschheit ein Teil der Natur ist, und dürfen einfach nicht glauben, dass wir das Recht haben, die Natur auszubeuten. Auch wenn diese Erkenntnis heute schon einigermaßen akzeptiert ist, so mangelt es noch sehr an der konsequenten Umsetzung dieser Einsicht. „Die Wirtschaft muss die bestehenden bio-physischen Grenzen anerkennen, sie muss lernen, dass es ökologische Zyklen gibt, mit denen man leben und die man respektieren muss. Die Wirtschaft muss lernen, dass es nicht nur einen Tauschwert, sondern auch einen Gebrauchswert gibt, und das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Wirtschaft braucht eindeutig einen zivilisatorischen Umschwung, der dazu führen muss, dass sie und auch die Menschenrechte keine Ware mehr sind. Die Märkte müssen kontrolliert und zivilisiert und der Staat muss partizipativ werden. Und die Zivilgesellschaft muss organisiert werden – das ist das dritte Standbein. Also eine andere Wirtschaft, ein anderer Staat und eine Zivilgesellschaft, die in die wirtschaftlichen und staatlichen Angelegenheiten eingreift.“
Das Gute Leben hat zweifellos die Fähigkeit, sich weltweit als Alternative zur Entwicklung, und auch als eine Alternative zum Kapitalismus, zu etablieren. Aus verschiedenen Gründen. Zuerst einmal, so Acosta, weil es einen strikten Respekt vor den Rechten der Menschen und der Natur verlangt. Es stellt von seinem Wesen her die Entwicklung, den so genannten Fortschritt in Frage, weshalb wir von einer Alternative zur Entwicklung sprechen. Es handelt sich aber auch um eine Alternative im Bereich des Sozialen. Die Thesen des Guten Lebens haben zwar die Probleme der Armut und Reichtumsakkumulation noch nicht gelöst, sie versuchen aber, diese Probleme zu überwinden. Sie öffnen die Tore zu einer umfassenden und sehr reichen Diskussion, die nicht nur im andinen und lateinamerikanischen Raum geführt wird, sondern weltweit, in anderen Kulturen, in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Zum „Guten Leben“ siehe den Themenschwerpunkt in SWM 1-2/11.
Alberto Acosta kam in der zweiten Oktoberwoche zu drei Veranstaltungen nach Wien, eingeladen von der Informationsgruppe Lateinamerika (IGLA) und dem Solidaritätskomitee Guatemala.
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